Kommunikation

24.07.2024
Erich Schwaninger

KI als Sparringspartner verstehen

Die künstliche Intelligenz (KI) stellt die Bildungsinstitute vor neue Herausforderungen. Vom neuen Tool wollen die Dozierenden und die Studierenden gleichermassen profitieren. Eine heikle Ausgangslage. Und wie sollen die Unternehmen mit KI umgehen? Lehrende und ein Studienabgänger nehmen Stellung.

Mit dem Studiengang Bachelor of Science in Artificial Intelligence and Machine Learning (AIML) ist die Hochschule Luzern, konkret das Departement Informatik in Rotkreuz, mitten im Thema künstliche Intelligenz. Stefan Siegler, Absolvent dieses Studiengangs, hat sein Studium im Frühjahr erfolgreich abgeschlossen. Was hat ihn, der eine Ausbildung als Bankkaufmann und nicht etwa als Informatiker vorzuweisen hat, an diesem Studium im Bereich künstliche Intelligenz fasziniert? «Ich wollte etwas Technisches studieren, aber viele Studiengänge erschienen mir zu einschlägig. Als ich dann vom neuen Studiengang AIML hörte, war ich sofort Feuer und Flamme.»

Sein Betreuer Björn Jensen erklärt die Kerninhalte des AIML-Studiums: «Wir arbeiten mit Geräten, die Dinge in der Realität verändern, sich bewegen und in ihrer Umgebung zurechtfinden können. Unser Ziel ist es, diese Apparate möglichst intelligent, vielfältig einsetzbar und benutzerfreundlich zu gestalten.» Während seines Studiums hat Siegler mithilfe von künstlicher Intelligenz Roboter mit unterschiedlichsten Fähigkeiten entwickelt. Einem humanoiden Roboter hat er das aktive Kommunizieren beigebracht, wie er sichtlich stolz berichtet. Im Studium beschäftigte er sich auch mit Fragen der Ethik und Philosophie. «Nur weil etwas technisch möglich ist, heisst das nicht, dass man es auch umsetzen soll», erklärt Siegler.

 

Ein Verbot ist keine Lösung

Auch für Nathaly Tschanz ist künstliche Intelligenz Bestandteil ihres beruflichen Alltags, wenn auch nur indirekt. Als Studiengangleiterin für den neuen Bachelor-­Studiengang in Immersive Technologies und Programmleiterin in der berufsbegleitenden Weiterbildung liegt ihr Fokus nicht auf der Entwicklung von KI, sondern auf Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR). Dennoch sind diese Bereiche eng miteinander verknüpft. Tschanz: «KI hilft, immersive Anwendungen in verschiedensten Branchen mit intelligenten, adaptiven und personalisierten Funktionen zu verbessern – sei es durch auditive, räumliche, gefühlsmässige und kontextbezogene Anpassungen der Umgebung oder durch dynamische Anpassung der Präsentation und Modifizierung von Inhalten.»

Wie integriert die Hochschule künstliche Intelligenz in den Studienalltag, und welche Auswirkungen hat dies auf das Lehr- und Lernumfeld? Laut Björn Jensen hat die Hochschule im mittleren Abschnitt des Studiengangs Artificial Intelligence and Machine Learning das Projektmodul AI Challenge eingeführt, praktisch zeitgleich zur Veröffentlichung von ChatGPT. Im Rahmen dieses Ausbildungsmoduls musste eine Abschlussarbeit geschrieben werden. «Die Studierenden sind dann logischerweise mit der Frage an uns herangetreten: Wir studieren AI, also verwenden wir ChatGPT für unsere Arbeit. Klar? – Man reagiert typischerweise mit einem Lächeln, nickt und sagt: Gut, wir schauen mal, ob das geht.» Gemäss Jensen haben sich die Dozierenden rasch auf ein gemeinsames Vorgehen einigen können. ChatGPT sei jetzt da und nicht nächstes Jahr wieder weg, so ihre plausible Überlegung. «Wir nehmen das als Testfall und schauen, wie wir damit umgehen können.» Gleichzeitig war dem Lehrkörper bewusst, dass sie im kommenden Semester, wenn die ersten Bachelorarbeiten anstehen, eine für alle akzeptable Lösung benötigen.

Nachdem sich die Dozierenden zum KI-Experiment durchgerungen hatten, war ihnen klar, dass ein Verbot keine Lösung darstellt. Den Studierenden wurden zu Beginn der Abschlussarbeiten Beispiele gezeigt, die verdeutlichten, wie es nicht funktionieren wird. Weiter wurden sie sensibilisiert, KI als eine Art Sparringpartner anzusehen, ein Kollege, der unterstützt. Jensen, pragmatisch: «Anstelle eines weissen Blattes Papier erhält man ein Ergebnis, das auf der eigenen Entscheidung und Analyse beruht.» Im Anhang zur Bachelorarbeit mussten die Studierenden erklären, wie KI eingesetzt werden sollte und wie sie das Tool tatsächlich verwendet haben. Die KI-Antworten wurden ebenfalls überprüft. Anschliessend wurde das Ganze ausgewertet: Was war beabsichtigt, was hat funktioniert, und was nicht.

 

Unterstützung statt Bedrohung

Ist ChatGPT ein Co-Autor oder eine Quelle? Gemäss Stefan Siegler haben er und seine Kollegen die sprachlichen Fähigkeiten der künstlichen Intelligenz gerne genutzt. Der Studienabgänger betont, dass das Überarbeiten des Berichts, wie es üblicherweise mit Kollegen durchgeführt wird, «sehr gut funktioniert hat». Dies im Gegensatz zu anderen Anwendungen, die man sich am Anfang erhofft habe. Seine Schlussfolgerung ist wenig spektakulär: «ChatGPT ist ein hervorragendes Werkzeug zum Sammeln von Ideen und zur Überprüfung der Rechtschreibung. Dennoch würde ich nicht mein gesamtes Schreiben auslagern; es entspricht nicht meinem Stil.» Der qualitative Unterschied zu dem, was ein Mensch verfasst habe, sei offensichtlich.

Auch Antonio Russo, Projektleiter VR und AR an der Berufs- und Schulbildung der HSLU sowie pädagogischer ICT-Verantwortlicher an der Berufsmaturitätsschule am BBZB, dem Berufsbildungszentrum Bau und Gewerbe Luzern, sieht das Ganze entspannt. «Die Lernenden an der Berufsfachschule nutzen für ihre Arbeiten gerne die künstliche Intelligenz. Früher haben die Geschwister oder die Eltern geholfen, jetzt halt ChatGPT.» Der Hauptteil sei die Präsentation, «sie müssen verstehen, was sie geschrieben haben». Weniger gelassen sehen das offenbar die Lehrpersonen. Diese hätten plötzlich Bedenken über die neuen Möglichkeiten geäussert. «Es war ein Prozess, den Leuten beizubringen, dass KI für sie eine Unterstützung sein kann», berichtet Russo. Nicht Angst haben, dass man ersetzt wird, sondern überzeugt sein, dass der Job interessanter wird, so seine Botschaft. «Ich kann mich auf das konzentrieren, was ich gerne mache. Den Rest delegiere ich nach Möglichkeit an die Maschine.»

Hier hakt Björn Jensen ein: «Wir sind in einem Gebiet tätig, in dem etwas erschaffen wird, das heisst, wir haben nicht nur den Bericht, sondern auch eine Implementierung und eine Präsentation.» Mit gezielten Fragen könne überprüft werden, ob das Erstellte auch wirklich verstanden wurde. «Das Risiko des Experiments, die Studierenden einzuladen, gemeinsam mit uns zu lernen, das hat sich unserer Meinung nach gelohnt», resümiert Jensen. «Wir müssen vorangehen.» Sie seien sich jedoch bewusst, dass sich mit der Weiterentwicklung der Tools die Erstellung der schriftlichen Arbeiten verändern werde. «Dann müssen wir überprüfen, ob die Gewichtung der Bewertungskriterien entsprechend angepasst werden muss.» Gemäss Jensen sollte die Abschlussarbeit, die bisher das zentrale Element war, möglicherweise etwas weniger Gewicht erhalten, während das erstellte Werk stärker benotet wird. «Diese Frage diskutieren wir intensiv.»

 

KI nicht isoliert betrachten

Was raten die Dozierenden der HSLU den Unternehmen im Umgang mit künstlicher Intelligenz? Nathaly Tschanz warnt davor, die KI isoliert zu betrachten. «Viele Technologiebausteine haben eine gewisse Zeit gebraucht, um zu reifen: AR, VR, KI, IoT, Blockchain, etc. Diese fangen jetzt an, ineinanderzugreifen und sich gegenseitig anzutreiben wie ein Zahnrad.» Björn Jensen schliesst sich dem an: «Es gab ChatGPT und es gab Roboter. In dem Moment, in dem beide zusammenkommen, löst das eine unglaubliche Dynamik aus.»

Nathaly Tschanz hat eine klare Botschaft: «Wir stehen erneut vor einer Transformationswelle. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen die Firmen ihre Agilität bewahren.» Für Unternehmen sei es deshalb wichtig, sich jetzt mit den neuen technologischen Möglichkeiten auseinanderzusetzen, erste Erfahrungen zu sammeln und zu antizipieren, welche potenziellen Auswirkungen das auf die Branche und das eigene Geschäftsmodell haben könnte. «Es geht darum, den technologischen Werkzeugkasten strategisch und zielgerichtet zu erweitern», erklärt Tschanz und rät Unternehmen, dies als Chance zu sehen und nicht als Bedrohung. «Agieren – Marktpotentiale früher erkennen und Märkte proaktiv entwickeln – ist besser als reagieren.» Oder anders ausgedrückt: Wer vor den anderen denkt und handelt, hat einen Vorsprung. Es lohnt sich, diesen zu nutzen.


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