Mit sommergünen Pflanzen teilbeschattete Balkone sorgen für Abkühlung. (Foto: Fritz Wassmann)
Erik Brühlmann / PW
Ein Garten an der Wand
Grüne Fassaden sehen nicht nur gut aus, sie wirken sich auch positiv auf das Gebäude und sogar die Umgebung aus. Voraussetzung ist jedoch, dass sie professionell geplant, umgesetzt und gepflegt werden.
Die Idee, Fassaden zu begrünen, ist nicht neu. Das vielleicht erste Beispiel dafür sind die Hängenden Gärten der Semiramis in Babylon. Sie galten in der Antike als eins der sieben Weltwunder. Ob sie diesen Status wirklich verdienen, wo sie genau lagen und wie sie funktionierten, ist heute weitgehend unbekannt. Sicher ist nur, dass sie die Jahrtausende nicht überdauert haben. Fassadenbegrünungen, wie sie sich in Mitteleuropa seit dem Mittelalter entwickelt haben, sind jedenfalls weit weniger prächtig und bestanden zunächst vor allem aus Efeu und Reben. Sie rankten sich zuweilen auch ohne menschliches Zutun und Absicht die Wände empor – einfach, weil Klettern ihre Art ist. In der Renaissance und im Barock erblühte die Gartenkunst, auch an der Fassade, vor allem in den Anwesen der Reichen und Adligen. Zu regelrechten Statussymbolen wurden begrünte Fassaden im 18. und 19. Jahrhundert. Fassadenpflanzen wurden zum Stilmittel, um Mauern «auf alt zu trimmen» und sie so für den Betrachter interessanter zu machen.
Nachweislich wirksam
Heute sollen Fassadenbegrünungen nicht nur Gebäude verschönern, sondern einen Beitrag an die Umweltbemühungen der Gesellschaft leisten. «Was moderne Fassadenbegrünungen angeht, hinken wir in der Schweiz ein bisschen hinterher», sagt Fritz Wassmann. Der freischaffende Gartenplaner, Ökologe und Berater ist Experte für Fassadenbegrünungen der Schweizerischen Fachvereinigung Gebäudebegrünung (SFG). Ein steigendes Interesse am Fassadengrün sei jedoch spürbar – auch, weil es eben trendy ist, sein ökologisches Ansinnen gut sichtbar zu zeigen. In Österreich und vor allem Deutschland sei man dennoch schon bedeutend weiter. Aus diesen Ländern stammen auch verschiedene Untersuchungen, welche die kolportierten Vorteile bepflanzter Fassaden wissenschaftlich belegen. So zeigte zum Beispiel eine Untersuchung von Marco Schmidt an der Humboldt-Universität in Berlin, dass Pflanzen ein Gebäude wirksamer beschatten können als Sonnenstoren. Ein Gutachten der Technischen Universität Darmstadt belegt einerseits eine Dämmwirkung durch die Fassadenbepflanzung von 3 bis 7 °C, andererseits eine Verschattung mindestens auf dem Niveau technischer Systeme. In der Schweiz, genauer gesagt an der Hochschule Luzern, wird in einem auf drei Jahre ausgelegten Versuch unter Kilian Arnold untersucht, wie viel Licht unterschiedliche Pflanzen an die Fassade lassen und wie dies die Temperaturen der Fassade beeinflusst. Fritz Wassmann ist bei dieser Untersuchung beratend beteiligt. «Die Resultate werden vor allem interessant sein bei Fassadenbegrünungen im Bestand, denn Fassaden in Altbauten sind weit weniger effizient gedämmt als solche bei Neubauten.»
Flora bringt Fauna
Dass begrünte Fassaden allein für eine energetische Optimierung von Gebäuden sorgen können, ist zu viel gesagt. Aber sie können sicherlich einen Beitrag dazu leisten – vor allem, wenn sie kombiniert werden mit photovoltaischer Energiegewinnung. Wassmann: «Es können zum Beispiel an der Südseite von Gebäuden, an der Fassade selbst oder an Balkonen Photovoltaikelemente platziert werden.» Das Argument, dass PV-Elemente wenig ansprechend aussehen, mag Wassmann nicht gelten lassen: «Solche Elemente sind heute in fast beliebiger Farbgebung zu haben.» Dass begrünte Fassaden die Biodiversität stärken, scheint auf den ersten Blick einleuchtend. Doch Fritz Wassmann äussert auch hier einen Vorbehalt: «Man darf nicht denken, dass es genügt, eine grüne Wand hinzustellen, und die bedrohte Tierwelt dann in Scharen angezogen wird.» Gerade Insekten ist es zum Teil alles andere als egal, ob ihnen Kletterrosen, Waldreben oder Purpurglöckchen serviert werden. Wildbienen zum Beispiel sind hinsichtlich Nahrung zum Teil sehr spezialisiert. Auch unter den Schmetterlingen gibt es ausgemachte Spezialisten. Da hilft es nicht, dass oft nur wenige verschiedene Pflanzen an den Fassaden zum Einsatz kommen, obwohl mehrere hundert Arten und Sorten grundsätzlich geeignet wären. «Will man gezielt Artenbestände erhöhen, muss man deshalb auch gezielt Nahrung für sie zur Verfügung stellen», so Wassmann. Dennoch haben begrünte Fassaden unbestritten einen positiven Effekt auf die Biodiversität. Sie bieten Vögeln Unterschlupf, Schlafplatz und zuweilen auch Nistmöglichkeiten, und sie können zum Lebensraum für allerlei Kleintiere werden. Wer es natürlich möchte, bekommt die Tierwelt als Nachbarn.
Fassadenschonend?
Zuweilen liest man, dass begrünte Fassaden langlebiger sind, weil die Pflanzen sie vor Witterungseinflüssen schützen. «Hier muss man allerdings einschränkend sagen, dass das nur gilt, wenn die Begrünung fachgerecht vorgenommen wird», sagt Wassmann. In dieselbe Kerbe schlägt auch Fabian Meier, wenn er sagt: «Die Zeit des Efeus, der sich direkt in die Fassade krallt, ist definitiv vorbei.» Meier ist Geschäftsführer und Mitinhaber des auf Gebäudebegrünung spezialisierten Unternehmens Skygardens in Fislisbach. Er weiss: Heute, wo Fassaden wichtige Funktionen im Gebäudesystem übernehmen, wäre es fatal, sie durch eine unsachgemässe Bepflanzung zu beschädigen. Begrünungssysteme werden der Gebäudefassade deshalb mit einigem Abstand vorgebaut – wegen der Wurzeln, aber auch, um eine ausreichende Hinterlüftung zu gewährleisten und damit Wasserschäden an der Fassade zu vermeiden.
Erde oder Pflanzgefäss
Bei der Konstruktion unterscheidet man grundsätzlich zwischen boden- und wandgebundenen Systemen. Der grösste Unterschied: Bei bodengebundenen Systemen werden die Pflanzen direkt ins Erdreich gesetzt, bei wandgebundenen Systemen wachsen sie in Pflanzbehältern an der Wand. Beide Systeme haben ihre Vor- und Nachteile. So sehen Fassaden mit wandgebundenen Systemen schneller begrünt aus, weil die Pflanzbehälter über die gesamte Wandfläche verteilt werden können. Dadurch können Kletterpflanzen ebenso zum Einsatz kommen wie hängend wachsende Pflanzen. Bei bodengebundenen Systemen kann dafür die benötigte Wasser- und Nährstoffzufuhr geringer sein, weil die Pflanzen sich aus dem Erdreich bedienen können. Dafür leiden erdgebundene Pflanzen, wenn Schadstoffe in den Boden eingetragen werden – zum Beispiel Salz durch Schmelzwasser. In wandgebundenen Systemen kommen optimierte Pflanzsubstrate zum Einsatz. «Oft werden beide Systeme miteinander kombiniert, um den gewünschten Effekt zu erzielen oder weil die Fassade zu hoch ist, als dass eine Pflanze vom Boden aus das Dach erreichen könnte», erklärt Fabian Meier. Letztlich ist es auch eine Frage des Budgets, weil wandgebundene Systeme deutlich mehr kosten.
Für jedes Objekt das richtige System
Je nach Objekt und Projekt stehen den Experten von Skygardens verschiedene Planungs- und Bauvarianten zur Verfügung. An der Fassade verankerte Seile, Gitter oder Netze aus Edelstahl sowie Gitter oder Stäbe aus Polyester dienen erdgebundenen Pflanzen als Kletterhilfen. Bei wandgebundenen Arbeiten können Rankhilfen und Pflanzgefässe zum Beispiel an vorgebauten Ständerwerken montiert werden. «Bei geeigneter Pflanzenauswahl kann man erreichen, dass das Grün im Sommer das Gebäude beschattet und somit den Einsatz technischer Klimasysteme verringert», erklärt Meier. «Im Winter werfen die Pflanzen dann ihre Blätter ab und erlauben der Sonne, das Gebäude aufzuwärmen.» Möglich sind auch modulare Systeme, die fast jede denkbare Formgebung erlauben. «Oft werden wir angefragt, ob Firmenlogos möglich sind», sagt Fabian Meier. «Möglich ist das zwar, aber wir raten davon ab. Denn wenn die Pflanzen wachsen, können solche Logos schnell unordentlich aussehen. Vielmehr raten wir dazu, freigestellte Schriftzüge in die grünen Fassaden zu integrieren.» Bei mehrlagigen Vliessystemen wiederum werden die Pflanzen direkt mit etwas Substrat in die vorgeschnittenen Taschen gesteckt. «Das ist einerseits sehr flexibel in der Gestaltung und kann an alle Formen angepasst werden, andererseits auch praktisch, weil das Vlies Wasser speichert», so Meier. «Die Pflanzen wachsen mit der Zeit ins Vlies. Oft nachgefragt werden auch fertig vorbegrünte Pflanzenmodule. Diese ermöglichen, dass bereits kurz nach Fertigstellung ein Wow-Effekt entsteht.»
Die Wasserfrage
Ob im Blumentopf, im Garten oder eben an der Fassade: Pflanzen benötigen Wasser und Nährstoffe. Deren Zufuhr erfolgt über automatische Bewässerungen, die bei Skygardens fernüberwacht werden können, damit man im Schadenfall schnell eingreifen kann. Die jeweils verabreichten Wasser- und Nährstoffmengen passt eine Software flexibel den Verhältnissen an. «Im Winter werden die Leitungen nach jedem Durchgang komplett entleert, damit keine Frostschäden entstehen können», so Meier. Da das Düngen gleichzeitig mit dem Bewässern erfolgt, ist es zudem wichtig, das System vom Wassersystem des Gebäudes strikt zu trennen. Aber wenn man sich vorstellt, wie viele Liter Wasser zum Beispiel ein begrüntes Hochhaus pro Jahr benötigt, ist das dann noch sinnvoll? «Es gibt nachhaltigere Lösungen, als mit Trinkwasser zu bewässern», sagt Fabian Meier und verweist auf Grau- und Regenwasser, das sich hervorragend zur Bewässerung eignen würde. «Doch die Nutzung von Grau- und Regenwasser ist in der Schweiz noch wenig verbreitet.» Wasser sei einfach zu billig, der Leidensdruck nicht gross genug. Glaubt man den Klimaexperten, wird sich das in Zukunft aber noch ändern. Empfohlen wird daher klar, eine Regenwassernutzung wo immer möglich mit zu denken.
Grünere Stadt, kühlere Stadt
Der Wärmeinseleffekt ist ein gut dokumentiertes Phänomen des Stadtklimas. Er beschreibt, dass in urbanen Ballungszentren die bodennahe Lufttemperatur höher ist als in den umliegenden ländlichen Gebieten. Die Intensität des Effekts variiert von Stadt zu Stadt; es wurden in grossen Städten im Jahresmittel schon Temperaturdifferenzen von 10 °C im Vergleich zum Umland gemessen. Eine Simulation für Zürich führten Jan Carmeliet und Jonas Allegrini 2018 an der ETH Zürich durch. Hinzu kommen im Stadtraum Belastungen durch Stickoxide, CO2 und Feinstaub. Pflanzen können all diesen negativen Effekten entgegenwirken und das Stadtklima verbessern. Das Problem: Kaum eine Stadt hat mehr den Platz oder die Mittel für extensive neue Grünanlagen. Eine mögliche Lösung für dieses Dilemma können begrünte Fassaden sein, denn sie benötigen wenig Platz. «Zusätzlich könnte man in Richtung Pergola für Plätze weiterdenken», sagt Fritz Wassmann. «Möglich wäre sicher auch, ganze Trottoirs mit einem Metallgerüst zu versehen, an dem sich Kletterpflanzen entlangranken und für Schatten und Abkühlung sorgen.» Der Wärmeinseleffekt wirkt sich, wie man heute weiss, auch auf die Baumbepflanzungen in den Städten aus. Wassmann: «Viele einheimische Bäume vertragen die höheren Temperaturen in der Stadt nur schlecht. Daher beginnt man, vermehrt auf Bäume aus dem südeuropäischen Raum zu setzen.»