

Früher diente im Seewasserwerk Sempach ein Forellenbecken als lebendiger Qualitätswächter – heute übernehmen präzise Trübungsmessungen diese Aufgabe. (Bilder: D.Hochradl)
Daniela Hochradl/FL
Versorgungssicherheit und Technik
Das Seewasserwerk Sempach zeigt, wie sich die Trinkwasserversorgung in der Region Sursee-Mittelland in 60 Jahren verändert hat – und welche Herausforderungen heute im Fokus stehen. Eine kompetente Führung mit Betriebstechniker Theo Leutwiler bot nicht nur spannende Technik, sondern auch wertvolle Einblicke in Netzsicherheit, Wasserqualität und Betriebspraxis.
Die Schweiz gilt als «Wasserschloss Europas» – dennoch ist die Trinkwasserversorgung nicht selbstverständlich. Rund 80% des Trinkwassers stammen aus Grund- und Quellwasser, etwa 20% aus Seewasser. Nicht alle Seen werden genutzt: Nur wo Qualität, Lage und hydrologische Verhältnisse passen, wird Seewasser gefördert. Technisch wäre es zwar möglich, mehr Seen anzuzapfen, doch oft ist dies nicht nötig – und aus ökologischer Sicht nicht immer sinnvoll.
In Regionen mit knappen Grundwasservorkommen oder stark schwankender Nachfrage sind Seen jedoch unverzichtbare Reserven. Gerade in trockenen Sommern, wenn Quellen und Grundwasserfassungen an ihre Grenzen kommen, sichern sie die Versorgung.
Der Sempachersee als Paradebeispiel
Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung und dem Bevölkerungswachstum nach dem Zweiten Weltkrieg stieg auch in der Region Sursee-Mittelland der Wasserbedarf, was den Aufbau neuer Versorgungsstrukturen notwendig machte. Die Quell- und Grundwasserfassungen konnten die Versorgung nicht mehr das ganze Jahr über zuverlässig sicherstellen – insbesondere in trockenen Sommern. Der Sempachersee bot sich als strategische, langfristig verfügbare Rohwasserquelle an, zentral im Versorgungsgebiet gelegen und mit ausreichendem Volumen auch für künftige Spitzenlasten.
1966 wurde das Seewasserwerk Sempach eingeweiht. Die Anlage, deren Bau rund 960 000 Franken kostete, war von Anfang an zweistufig aufgebaut und für damalige Verhältnisse robust sowie vergleichsweise einfach: Das Seewasser wurde über einen Meter Quarzsand filtriert und anschliessend durch Chlorung hygienisch abgesichert.
Fischsterben als Weckruf
Im August 1984 kam es im Sempachersee zu einem massiven Fischsterben. Die Ursachen waren schon länger bekannt. Die intensivierte Landwirtschaft rund um den See, hohe Nährstoffeinträge – insbesondere Phosphor – sowie unzureichend gereinigte Abwässer hatten das Algenwachstum stark gefördert. Beim Abbau der abgestorbenen Algen wurde dem Tiefenwasser so viel Sauerstoff entzogen, dass zahlreiche Fische erstickten.
Aufgrund seiner Hydrologie reagiert der Sempachersee besonders empfindlich auf solche Belastungen. Das Wasser wird nur etwa alle 15 Jahre vollständig ausgetauscht, wodurch sich eingetragene Stoffe nur langsam verdünnen. Etwa drei Viertel des Einzugsgebiets werden intensiv landwirtschaftlich genutzt, und sechs grössere Zuflüsse transportieren regelmässig Nähr- und Schadstoffe in den See. Als Sofortmassnahme wurde damals eine Seebelüftung installiert, die bis heute in Betrieb ist.
Sprung in die Multibarrieren-Ära
1989 markierte einen Wendepunkt für die Trinkwasseraufbereitung in Sempach: Die gesamte Anlage wurde erneuert und als vierstufige Multibarrierenanlage ausgebaut. Erstmals wurde die Aktivkohlefiltration fest in den Prozess integriert, um Pestizide und andere organische Mikroverunreinigungen wirksam zu entfernen. Für die damalige Zeit war das Werk eine der modernsten Anlagen in der Schweiz – und es erfüllt noch heute den Stand der Technik. Im Betrieb zeigte sich, dass die Belastung des Rohwassers höher war als ursprünglich erwartet.
2005 erfolgte eine umfassende Sanierung mit Fokus auf technische Anpassungen. Eingeführt wurden u. a. ein modernes Prozessleitsystem und ein Online-Monitoring. Am grundsätzlichen, vierstufigen Aufbereitungsprozess hat sich seither nichts geändert:
o Flockungsfiltration – Bindung und Entfernung von Schwebstoffen.
o Ozonisierung – Oxidation organischer Substanzen und Reduktion von Keimen.
o Aktivkohlefiltration – Adsorption von Pestiziden, organischen Mikroverunreinigungen sowie Geruchs- und Geschmacksstoffen.
o Hygienisierung – Absicherung der mikrobiologischen Qualität, in Sempach mittels Chlorung (UV-Licht ist in vielen modernen Werken Standard).
Mit einer Aufbereitungskapazität von 5500 m³ pro Tag zählt das Seewasserwerk Sempach bis heute zu den grössten Wasserbeschaffungsanlagen der Region.
Aktivkohle im Seewasserwerk
Aktivkohle ist in der Lage, selbst sehr kleine organische Spurenstoffe zuverlässig zurückzuhalten. Ihre extrem grosse innere Oberfläche (bis zu 1000 m² pro Gramm) macht sie zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Aufbereitung. Die Füllungen werden regelmässig überwacht und nach Bedarf gewechselt. Aussagen zu jährlichen oder halbjährlichen Standardwechseln sind nicht mehr korrekt – entscheidend sind die Belastung des Rohwassers und analytische Befunde.
Reaktivierung: Granulierte Aktivkohle (GAK) kann heute bis zu dreimal thermisch reaktiviert werden, bevor sie endgültig ersetzt wird. Eine Reaktivierung kostet rund 50 000 Franken, Neuaktivkohle etwa 70 000 Franken. Danach wird frische Kohle eingesetzt. Früher – mit brikettierter Aktivkohle – waren bis zu zehn Reaktivierungen möglich, doch die Briketts zerbrachen mit der Zeit und die Standzeiten variierten stark. Deshalb wird heute auf Granulat gesetzt.
Heute: Stabil, aber gefordert
20 Jahre nach der Sanierung arbeitet die Anlage weiterhin zuverlässig. Gleichzeitig sind die Rahmenbedingungen deutlich komplexer geworden. Obwohl der Pro-Kopf-Verbrauch leicht gesunken ist, steigt der Gesamtbedarf durch das Bevölkerungswachstum kontinuierlich an. Trockenperioden wie im Sommer 2018 haben gezeigt, wie schnell lokale Reserven erschöpft sein können. Hinzu kommen Risiken wie Pestizide, Mikroverunreinigungen oder das mögliche Auftreten invasiver Muschelarten.
Um diesen Herausforderungen zu begegnen, wurde die Aquaregio AG gegründet. Acht Gemeinden sind heute über mehr als 80 km Transportleitungen miteinander verbunden. Diese Vernetzung ermöglicht es, Spitzenbedarf auszugleichen und Ausfälle einzelner Versorgungsanlagen zu überbrücken. Zudem stellt ein langfristiger Liefervertrag mit der Gemeinde Emmen jährlich rund 1 Mio. Kubikmeter zusätzliches Trinkwasser bereit. Das entspricht etwa einem Viertel des regionalen Bedarfs in Spitzenzeiten.
Anspruchsvolle Ressource Seewasser
Das Seewasserwerk Sempach ist heute ein zentraler Bestandteil im Versorgungsverbund der Aquaregio AG, die das gesamte Primärsystem der Region Sursee-Mittelland betreibt. In diesem Netz werden Quellwasser, Grundwasser, Seewasser und externe Lieferungen so aufeinander abgestimmt, dass eine stabile und verlässliche Versorgung jederzeit gewährleistet ist. Durch die enge Vernetzung lässt sich Wasser aus verschiedenen Ursprüngen bedarfsgerecht mischen, sodass im gesamten Gebiet eine einheitliche Härte und Qualität erreicht wird.
Die Struktur der Aquaregio AG sorgt dafür, dass bei Spitzenlasten oder im Falle von Ausfällen redundante Leitungswege und ausreichend dimensionierte Speicher zur Verfügung stehen. Qualitätssicherung umfasst nicht nur den Einsatz moderner Technik gegen Schadstoffe und invasive Arten, sondern auch eine lückenlose Überwachung des gesamten Systems mit engmaschigen Messungen und klar geregelten Wartungsabläufen.
Das Rohwasser aus dem Sempachersee zeigt derzeit sehr gute Werte. Der Nitratgehalt liegt bei rund 2,2 mg pro Liter, die Härte beträgt 14,4 französische Härtegrade, der pH-Wert liegt bei 7,8 und Krankheitserreger sind nicht nachweisbar. Dennoch erfordert Seewasser eine besonders sorgfältige Aufbereitung. Die Temperatur und die biologische Aktivität schwanken im Jahresverlauf deutlich. Landwirtschaftliche Einträge können zeitweise zu erhöhten Pestizidkonzentrationen führen, die den Einsatz einer zuverlässigen Aktivkohlefilterung notwendig machen. Um die Qualität jederzeit zu sichern, wird das Wasser kontinuierlich überwacht – mit Online-Sensoren, regelmässigen Laborproben und einem Pikettdienst rund um die Uhr.
Fazit
Seit dem Ausbau zur Multibarrierenanlage 1989 und der Sanierung 2005 arbeitet das Seewasserwerk Sempach zuverlässig auf hohem technischem Niveau. Heute sorgen moderne Verfahren, laufende Kontrollen und die Einbindung in den Aquaregio-Verbund dafür, dass jederzeit Trinkwasser in bester Qualität verfügbar bleibt.